Die
Eroberung der Finsternis
Teil 6: Lebendig begraben - Floyd Collins
O-Ton Film-Ausschnitt "Reporter
des Satans"
Den Film "Reporter des Satans", drehte Billy Wilder 1951 in Hollywood.
Mit Kirk Douglas in der Hauptrolle landete der gebürtige Österreicher
einen Coup. Der Plot: Ein Sensationsreporter geht über Leichen.
Irgendwo im amerikanischen Südwesten wird ein Hobby- Archäologe
bei der Suche nach Indianer-Keramik in einer Höhle verschüttet.
Ein Provinzreporter bekommt zufällig Wind von der Sache und riecht
die Story seines Lebens. Er drängt sich in die Leitung der Rettungsarbeiten,
zögert diese aber in Wirklichkeit hinaus, um jeden Tag neue
dramatische Exclusivgeschichten an seine Redaktion absetzen zu können.
Dazu ist ihm jedes Mittel recht.
O-Ton Film-Ausschnitt "Reporter
des Satans" : "... holen Dich hier raus."
Natürlich kommt er nicht raus. Der Reporter des Satans bekommt
ein schlechtes Gewissen. Aber zu spät. Der Eingeschlossene wird nicht
gerettet und stirbt.
Die Geschichte hatte eine historische Vorlage:
1925 machte die Story des eingeschlossenen Höhlenforschers
Floyd Collins Schlagzeilen in der nord-amerikanischen Presse. Eine ganze
Nation zitterte um das Leben eines todgeweihten Hinterwäldlers im
hintersten Zipfel Kentuckys.
SONG, Strophe 1
Kommt,all ihr jungen Leute
und hört,was ich erzähl
Das Schicksal von Floyd Collins
den Burschen jeder kennt
Sein Gesicht war schön und edel
Sein Herz war treu und kühn
Sein Körper liegt jetzt schlafend
allein im Sandsteinloch.
Es ist Freitag,
der 30. Januar 1925. Ein kalter Wind pfeift über die Hügel,
als der 35-jährige Farmer Floyd Collins zum Eingang der Sand Cave
hinabklettert. Hinter dem breiten flachen Eingang wird der Gang schnell
niedriger und setzt sich in einer engen abwärts führenden Röhre
fort. Floyd schiebt sich hinein. Nach einigen Minuten hat er den Punkt
erreicht, an dem er einige Tage zuvor aufgehört hat. Floyd schaut
sich um. Die Sprengung an der Engstelle, an der er damals gescheitert
war, war offenbar erfolgreich gewesen. Das Loch ist eng und das ganze
sieht ziemlich bröckelig aus, doch der Durchbruch ist geschafft.
Vorsichtig zwängt sich Floyd durch die losen Blöcke hindurch,
zwischen denen Sand herabrieselt. Vor ihm liegt eine grosse Höhle
- er hat es geschafft. Für heute soll es damit gut sein.
Er zwängt sich zurück in die enge Röhre und schiebt
sich Zentimeter für Zentimeter nach oben. Seine Füsse suchen
Tritte. Er weiss, daß er vorsichtig sein muss, doch eine Bewegung
war wohl doch zu hastig. Von der Decke löst sich ein Stein und
klemmt seinen linken Fuss ein. Floyd versucht sich zu befreien, doch
seine Versuche, den Fuss herauszuziehen, sind vergeblich.
Seine Lage ist alles andere als angenehm. Er steckt in der engen Röhre
wie ein Korken in der Flasche. Wasser rinnt ihm übers Gesicht.
Sand rieselt auf ihn herab. Floyd ist gefangen. Lebendig begraben. Schlagartig
wird ihm klar: Allein wird er hier nie herauskommen. Er hat Angst. Er schreit,
doch wer soll ihn hier hören?
Kentucky zählte damals schon zu den ärmsten Gegenden der USA.
Und die Gegend von Cave City allemal. Auf den mageren Kalkböden
wuchs nichts, womit man reich werden konnte und die Wirtschaftskrise hatte
alles nur noch schlimmer gemacht.
Das einzige Gewerbe in der Gegend, das einigermassen rentabel sein mochte,
war der Tourismus - denn die Gegend hatte eine Attraktion zu bieten:
die Mammoth Cave, die grösste Höhle der Welt. An den wirtschaftlichen
Erfolg der Mammoth Cave Company versuchten sich auch andere Landbesitzer
in der Umgebung anzuhängen, indem sie ihrerseits Höhlen zugänglich
machten.
Floyd Collins hatte auf dem Grundstück seines Vaters bereits eine
bedeutende Entdeckung gemacht, die wunderschöne Crystal Cave. Dummerweise
lag seine Höhle weit abgelegen. Nur wenige Besucher verirrten sich
dorthin.
Die Sand Cave sollte das ändern. Alle Höhlen rund um die Mammoth
Cave sollten doch irgendwie zusammenhängen, vermutete Floyd.
Gewinner wäre letztlich der, der die Besucher möglichst nahe
an der Hauptstrasse abfangen und in Untergrund lotsen könnte.
Und die Sand Cave lag ideal.
Am nächsten Morgen fällt Floyd´s Verschwinden auf.
Sein jüngerer Bruder Homer kriecht in die Höhle und erkennt
sofort die verzweifelte Lage, in der Floyd steckt. Ein Fuss ist
in einer Spalte festgeklemmt , blockiert durch einen schweren Felsbrocken.
Die enge Röhre, in der Floyd steckt, ist fast vollständig
durch seinen Körper ausgefüllt. Keine Chance, an den Stein heranzukommen
und den Fuss zu befreien. Homer bringt Essen und Trinken und
füttert kopfüber in dem engen Gang liegend den Eingeklemmten,
der jämmerlich friert.
SONG
Wie traurig die Geschichte
Treibt Tränen uns in Aug
Auch bleibt uns die Erinnerung
Für viele viele Jahr
Dem Vater brachs das Herze
wollt retten seinen Sohn
Weint Tränen nun des Schmerzes
am Eingang von Floyd´s Höhle.
3 Tage später erreicht die Nachricht, daß irgendwo bei Cave
City irgendjemand in einer Höhle feststeckt, die Redaktion des Lokalblatts
Courier-Journal in Louisville. Es ist wenig los, was schöne
Schlagzeilen hergeben würde. Saure-Gurken-Zeit im Januar. Die
Football-Saison war gerade um, die Basketball-Saison noch nicht eröffnet.
Jung-Reporter William Burke Miller, genannt Cheek, wird von seinem
Chef nach Cave City geschickt. Er soll mal checken, ob wenigstens
aus dieser Lokalposse Honig zu saugen ist.
Miller trifft am Höhleneingang einen Trupp frierender und verdreckter
Männer an, die um ein Feuer kauern. Die Herren sind nicht gerade
gesprächig. Er solle doch selbst nachsehen, was los sei,
wird ihm bedeutet. Der junge Reporter weiss, was er zu tun hat.
ZITAT Miller
"Das Eingangsloch führte zu einem steil anfallenden Naturschacht.
Ich kroch ihn entlang und es war bald stockfinster um mich. Lange, endlos
lange robbte ich Meter um Meter durch Schlamm und Schlick. Obwohl ich nicht
groß war mußte ich meine Lungen ganz leer pressen, damit ich
durch die engsten Stellen hindurchschlüofen konnte.
Schliesslich kam ein noch steilerer Schrägschacht. Ich rutschte
in die Finsternis hinunter, prallte mit dem Kopf gegen eine feuchte Masse
- und fühlte, wie sie sich bewegte. Es war Collins!
Er lag auf der linken Seite, einen Arm unter sich, den anderen presste
eine überhängende Felskante an seine rechte Seite. Ich hob ein
Stück Sackleinwand hoch, das sein Gesicht bedeckte, doch er ächzte:
"Leg´s wieder drauf. Das Wasser." Ich begriff, daß das Wasser
die ganze Zeit auf sein Gesicht getropft war, und tropfendes Wasser kann
eine Tortur sein.
Ich versuchte, über ihn hinwegzukriechen, aber er murmelte:
"Es schmerzt, schmerzt grässlich." Ich merkrte, daß ich im Augenblick
nichts weiter tun konnte, sagte ein paar aufmunternde Worte und kroch hinauf
- den langen, mühseligen Weg ans Tageslicht.
Als ich oben und draußen war hatte ich nur den einen Wunsch,
nie wieder hinab zu müssen in die Höhle da unten. Die Finsternis,
die Nässe, die Hilflosigkeit von Floyd Collins erfüllten mich
mit Grauen."
Millers Bericht erscheint in seiner Zeitung als Exklusivstory
am Tag darauf. 2 Tage später ist die Geschichte von Floyd Collins
auf allen Titelblättern der nationalen Presse.
Sonderkorrespondenten und Fotografen der grossen Blätter
und der Agenturen werden nach Cave City entsandt. Die Nation
beginnt, am Schicksal eines bis dahin unbekannten Nobody Anteil zu
nehmen.
Das Thema ist spannend und voller Dramatik - und doch ist
die Berichterstattung nicht einfach, denn Informationen aus erster
Hand sind rar. So ersetzen die Reporter harte Fakten durch Gerüchte
und schmücken ihre Berichte mit viel Fantasie immer weiter aus.
Doch das macht nichts: Jedes gedruckte Wort wird von den Lesern verschlungen.
Nur ein Reporter kann aus eigener Anschauung berichten. Cheek
Miller, den das Schicksal des Eingeschlossenen tief bewegt, ist selbst
voll in die Rettungsarbeiten mit eingestiegen und ist einer der wenigen,
die es überhaupt noch wagen, in der immer brüchiger werdenden
Höhle bis zu Floyd Collins vordringen. Gewollt oder nicht -
Cheek Miller hat ein Monopol auf die autentische Vor-Ort-Berichterstattung.
ZITAT Miller
"Während die Arbeiter der Asphalt Company mit der Erweiterung
des Höhleneingangs begannen legte ich einen Leitungsdraht mit elektrischen
Lampen bis zu Floyd hinunter. Die Birnen glitzerten hell in dem lehmigen
Tunnel. In ihrem Schein fütterte ich Collins, hielt seinen Kopf auf
meinen Knien und erzählte ihm von den zahllosen Gebeten, die für
ihn gesprochen wurden.
Wir hatten jetzt jetzt aus dreizehn lang auf dem Rücken ausgestreckten
Männern eine Kette formiert, die von Collins Seite, wo ich lag, bis
nach oben zum Schachteingang reichte. Eine Brechstange und ein Wagenheber
wanderten von Hand zu Hand zu mir hinunter. Wir hofften, den Felsbrocken
von seinem Bein wegzustemmen und über die Felskante hinter ihm zu
wälzen. Collins brachte es fertig, die Brechstangenspitze an seinem
Körper entlang bis zum Felsblock gleiten zu lassen. Ich streckte
mich so weit ich konnte und setzte den Wagenheber an. Die Brechstange bog
sich, als der Druck zunahm. "Ich glaube, das Ding bewegt sich" sagte Collins
heiser. Da rutschte der Wagenheber ab.
Wieder und wieder versuchte ich, den Felsblock wegzustemmen - ohne
Erfolg. Nach einiger Zeit war ich erschöpft und fröstelte. "So
mein Junge" - meinte Collins - "jetzt gehst Du nach oben, ruhst Dich aus
und wärmst Dich auf. Dann komm wieder runter und probierst es von
Neuem. Das nächste Mal schaffst Du es."
SONG
Die Nachricht ging auf Reisen
Oh, weit kam sie herum
In jeder Zeitung stand es
Und kam im Radio
Es strömten die Befreier,
Ihn retten wollten sie
Doch schlafend liegt sein Körper jetzt
allein im Sandsteinloch.
Das Schicksal des Eingeschlossenen löst weltweit Anteilnahme
aus. Unmengen von Telegrammen mit guten Ratschlägen und aufmunternden
Worten treffen ein. Freiwillige Helfer strömen in hellen Scharen herbei.
Eine Dame aus Chikago schickt per Flugzeug 2 Chirurgen, die Floyd den Fuss
amputieren sollen, wenn es denn keine andere Möglichkeit gibt.
Am folgenden Sonntag - Floyd steckt inzwischen über eine Woche
eingeklemmt in seinem Gefängnis - erlebt Cave City einen nie zuvor
gesehenen Ansturm.
Zitat Miller
"Als ich zum Höhleneingang zurückkehrte wälzte sich
auf der holprigen lehmigen Strasse aus Cave City ein nicht endender Strom
von Menschen und Maschinen heran. Milizeinheiten waren aufgeboten worden,
um die wimmelnde Menge zurückzuhalten. Wie oft bei Ereignissen, die
die Gemüter tief bewegen, fanden sich auch hier Selbstlosigkeit und
Selbstsucht dicht beieinander. Während freiwillige Helfer unermütlich
unter schwierigsten Bedingungen schufteten verkauften geschäftstüchtige
Händler heisse Würstchen und Bilder von der Kristallhöhle.
Drei junge Mädchen erzählen Reportern, sie seien mit dem Eingeschlossenen
verlobt."
Die Autos stauten sich in Zweierreihen über Kilometer. Versorgungsfahrzeuge
für die Rettungsarbeiten blieben stecken und erreichten ihr Ziel mit
Stunden Verspätung. Bauernhöfe und Äcker verwandeln sich
in Parkplätze, verstopft von bis zu 3000 Autos aus
20 Bundesstaaten.
Ein Sonderzug bringt weitere Besuchermassen aus Louisville heran.
Und die Zeitungen, die zuvor detaillierte Wegbeschreibungen veröffentlicht
hatten, ereifern am Tag darauf sich über Behinderung der Rettungsarbeiten
durch Schaulustige. Die Schätzungen, wieviele Besucher an diesem Sonntag
beim Höhlendrama live dabei waren, schwanken zwischen 10 und 50-tausend.
Die Einheimischen waren sich einig, daß sie noch nie so viele Menschen
auf einem Haufen gesehen hätten.
In Cave City explodieren die Preise. Für kurze Taxifahrten werden
pro Nase aberwitzige 3 Dollar verlangt und gezahlt. Die restlos überfüllten
Hotels vermieten selbst ihre Badewannen zu stolzen Preisen an die Reporter,
die in immer grösserer Zahl eintreffen.
Seit einigen Tagen besteht bereits kein Kontakt mehr zu Floyd Collins.
Der Gang zu ihm ist eingestürzt. Die einzige Chance ist nun,
einen Schacht neben dem Unglückort niederzubringen. Fieberhaft
arbeitet ein Herr von Helfern. Floyd Collins ist nun über 10 Tage
lebend begraben. Die Chancen, ihn lebend zu bergen, sind
minimal. Aber es wird mit voller Kraft weitergearbeitet. Alle Hoffen
auf ein Wunder.
Gerüchte nachen die Runde, es handele sich alles nur um raffinierte
Fälschung. Ein Werbegag, um Leute in die Gegend zu bringen, um ihnen
das Geld aus der Tasche zu ziehen. Floyd sei in Wirklichkeit längst
gerettet. Oder verlasse nachts heimlich die Höhle durch einen anderen
Ausgang. Reporter Miller wird beschuldigt, die Rettungsarbeiten zu behindern,
um seine Story am Leben zu halten.
In Cave City tritt ein Militärgericht zusammen, um den Vorwürfen
nachzugehen. Ergebnis: Alles haltlos. Die Presse hat ein neues,
wieder sehr ergiebiges Thema. Floyd ist noch immer nicht gerettet.
18 Tage, nachdem das Drama begonnen hatte, erreicht der
Rettungsstollen den Verschütteten. Floyd ist tot. Wie lang er
noch am Leben gewesen war ist unklar.
Bergung der Leiche sei zu gefährlich, beschliessen die Verantwortlichen.
Erst Wochen später kann Floyds Bruder Homer einen Bergmann überreden,
den Toten aus dem Schacht zu holen.
Floyd´s Sarg wird in seiner Höhle Crystal Cave
aufgestellt - ein silberner Sarg mit einem gläserner Deckel, durch
den die Höhlenführer den schauernden Besuchern gegen Extra-Honorar
einen Blick auf die Leiche gestatten. Erst Jahre später,
als das Interesse der Touristen abflaut, wird Floyd ordentlich
beerdigt.
Folyds Bruder Homer und auch sein Vater versuchen nun, den
Tod ihres Angehörigen zu Geld zu machen. Sie halten Vorträge,
treten auf Jahrmärkten auf.
Cheek Miller, der mutige Reporter, bekommt für seine Reportagen
den Pulitzerpreis und wird einer der angesehendsten amerikanischen Journalisten.
Die Country-and-Western-Moritat über den tragischen Tod von Floyd
Collins wird innerhalb von 2 Jahren über 3 Millionen mal auf Schallplatte
verkauft. Der erste Mega-Hit der Schallplattengeschichte.
SONG
Ihr Jungen, hört die Lehre
aus Floyd Collins Geschick
Macht Frieden mit dem Schöpfer
bevor es ist zu spät
Ein Grab, wir werdens finden
wohl in der Höhle nicht
doch vor dem Höchsten Richter
dereinst das jüngste Gericht.
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